Marktkirche – Clausthal-Zellerfeld

Architekturführer

„Nichts Vergleichbares ist dieser großartigen Leistung aus der Spätzeit des Dreißigjährigen Krieges gegenüberzustellen.“ – so schreibt E. Siegfried 1962 über den Innenraum der Clausthaler Marktkirche und seine künstlerische Wirkung. Das Zitat findet sich im Heft 27 der „Kleinen Kunstführer für Niedersachsen“, für die das Kunsthistorische Institut der Göttinger Universität als Herausgeber fungierte.

Dr. Johannes Sommer, seinerzeit Kunstreferent der Hannoverschen Landeskirche, stellte 1964 fest: [Die Marktkirche in] „Clausthal ist nicht irgendein Fall, sondern ist einer der bedeutendsten Fälle in Europa.“

Solche Stimmen zur kunsthistorischen Einordnung des Bauwerkes waren damals die Ausnahme: Noch 1986 urteilte ein Kunstgeschichts-Professor aus Berlin, der in früheren Jahren für die Marktkirche als Denkmalpfleger zuständig gewesen war: „Mit Kunst hat das alles hier überhaupt nichts zu tun“.

Das war schon seit dem 19. Jhdt. eine gängige Einschätzung. In dem siebenbändigen Werk „Die Kunstdenkmale und Alterthümer im Hannoverschen“ von H.W.H. Mithoff wird 1875 die Clausthaler Marktkirche zum Heiligen Geist mit den dürren Worten „ein Holzbau“ abgetan, und in einem Harz-Reiseführer von 1903 heißt es lakonisch: „Die Kirche ist ein unschöner Holzbau“. Offenbar wurde die Bedeutung der größten Holzkirche Deutschlands vor allem in ihrem Volumen mit 17.000 Kubikmetern umbauten Raumes gesehen sowie in der Tatsache, dass es dort seit 1885 2.200 Sitzplätze gab.

Erst in jüngster Zeit wird nach und nach der wahre Wert des Gebäudes erkannt. Seit 2002 werden bei Sanierung der Kirche ständig neue Erkenntnisse über den Bau gewonnen, und auf dieser Basis hat sich nach und nach eine angemessenere Bewertung des Bauwerkes entwickelt.

Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die künstlerische Qualität von Raum und Ausstattung, sondern vor allem für die religiöse Symbolwelt, die sich in Architektur und Bildwerken auf eine für den evangelischen Kirchenbau einzigartige Weise entfaltet. In ihrer konsequent bis in den Millimeterbereich durchgeführten Tiefe kann man ihr durchaus Weltrang zusprechen.

Im Jahr 2005 wurde der Clausthaler Marktkirche zum Heiligen Geist der Rang eines Kulturdenkmals von nationaler Bedeutung zuerkannt. Jeder, der die Kirche heute besucht, wird diese Einstufung als angemessen empfinden.

architectura kotyrba
128 Seiten, 15cm x 15cm, Softcover
ISBN: 978-3-942712-47-7

Autoren:
Bernd Gisevius (Texte)
Sándor Kotyrba (Fotografie)

Die Bauherren

Schon im Mittelalter hatte es im Oberharz blühenden Silberbergbau gegeben, in Gang gesetzt als Tochter-Unternehmung des Goslarer Domstiftes. Für die Verwaltung und zur Regelung der finanziellen Dinge wurde vor Ort ein Kloster „Cella“ gegründet; es wurde später zur Keimzelle der Stadt Zellerfeld. Für die überaus harte und anspruchsvolle praktische Arbeit dagegen „montani“ angesiedelt, übersetzt: „Bergmänner“. Die Geschichtsquellen aus dem 13. Jhdt. lassen auf ein erstaunliches Selbstwertgefühl dieser „montani“ schließen, die als Fachleute unentbehrlich waren. In den Quellen wird von eigenständigen politischen Aktionen berichtet, mit denen sie versuchten, politische Unabhängigkeit gegenüber dem Domstift zu erlangen.

Bedingt durch die Pest gegen Ende des 14. Jhdts. schlief dieser Bergbau für etwa 120 Jahre ein. Zurück blieben aber zahlreiche Spuren in Form von Gebäuden und bergbautechnischen Anlagen, wie z.B. aufgelassene Gruben, Stollen, Wassergräben und Staudeiche. Zu Beginn des 16. Jhdts. erinnerten sich die zuständigen Landesfürsten dieser Dinge und versuchten, den Oberharzer Silberbergbau als staatliche Geldquelle neu zu beleben. International wurden Fachleute angeworben. Durch „Bergfreiheiten“, in denen ihnen der Fürst soziale und wirtschaftliche Privilegien garantierte, wurde ihnen schmackhaft gemacht, sich im „wilden Waldgebirge“ als Unternehmer oder technisches Fachpersonal niederzulassen.

Peinlich genau wurde darauf geachtet, die Grenzen zwischen den verschiedenen Fürstentümern einzuhalten die in dem Gebiet ansässig waren; je nach der geografischen Lage der Erzgänge konnten sich für den Landesherrn wirtschaftlich gewaltige Vorteile ergeben. So kommt es, dass zwischen den unmittelbar benachbarten Städten Clausthal und Zellerfeld eine Landesgrenze verlief: Zellerfeld gehörte zum Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel, Clausthal dagegen zu dem südlich des Harzes gelegenen Herzogtum Grubenhagen, das aber durch Erbschaft bald im späteren Königreich Hannover aufging.

Für beide Staaten geriet das Ansiedlungsprojekt „Oberharz“ zur wirtschaftlichen Erfolgsstory: Es ist nachgewiesen, dass für einen Zeitraum von 130 Jahren die Finanzmittel der beiden Staatshaushalte zu jeweils 35 % aus dem Harzer Silberbergbau kamen: Das waren 10 % des dort erwirtschafteten Umsatzes. Und wie im 13. Jhdt. einst die „montani“, waren sich auch im 16. und 17. Jhdt. die Harzer Bergleute der staatstragenden Bedeutung ihrer Arbeit voll bewusst und hielten es für notwendig, diese Bedeutung auch nach außen zu demonstrieren. Die Clausthaler Marktkirche zum Heiligen Geist ist in ihrer besonderen Struktur ein Produkt dieses Strebens.

Im Bergbau werden einerseits gewiefte Praktiker benötigt, andererseits aber auch exzellente Ingenieure und Wirtschaftsfachleute. Dem entsprechend gliederte sich die Oberharzer Bevölkerung in zwei „Stände“:

„Vom Leder“ nannte man offiziell die Gruppe der Praktiker. Sie verrichteten die schwere körperliche Arbeit. Der Name ist von dem ledernen Arbeitsschutz abgeleitet, mit dem sie in den Schacht einfuhren, das sog. „Arschleder“. „Von der Feder“, hieß dagegen die Gruppe der Theoretiker, der hoch gebildeten Ingenieure, Planer und Unternehmer, die in wöchentlichen Gesprächsrunden das faktische Vorgehen bestimmten und kontrollierten. Ihr rechtlicher Status geht aus einer Turmurkunde von 1737 hervor. Dort heißt es: „Damahls haben allhier regieret Nahmens Ihro Königl. Majestät Georgii des Zweyten, unseres Allergnädigsten Herrn.“

Wie die einfachen Leute „vom Leder“ stammten auch sie meist aus bürgerlichen Kreisen, suchten aber für sich eine „höhere“ Patrizier-Kultur in den Oberharzer Bergstädten einzuführen. Man legte sich Wappen zu und verkehrte und heiratete streng „unter sich“. Bei den Wohnhäusern sorgte eine geistvoll kultivierte Gestaltung dafür, die persönliche Bildung und Noblesse vor Augen zu stellen; Beispiele hiervon haben sich bis heute in allen Oberharzer Bergstädten erhalten, besonders in Zellerfeld.

Man hielt es aber auch für wichtig, den sozialen Rang der eigenen Familie öffentlich sichtbar zu machen: „zum steten Nachruhm und Andenken“ geschah dies – orientiert an Vorbildern aus den mittelalterlichen Bürgerstädten – einerseits durch anspruchsvoll gestaltete Grabmäler, andererseits durch großzügige Stiftungen für die Kirche.

Inhalt

  • Kulturgeschichtlicher Rang
  • Die Bauherren
  • Gründung und Planung
  • Baugeschichte Außenbau
  • Entwicklung
  • Symbolik
  • Sanierung
  • Baugeschichte Innenraum
  • Sanierung
  • Entwicklung
  • Rundgang / Symbolik
  • Baugeschichte Ausstattung
  • Symbolik allgemein
  • Was noch zu sehen ist
  • Vorbilder und Nachfolgebauten

Wir danken folgenden Institutionen und Personen für die freundliche Unterstützung bei der Entstehung dieser Veröffentlichung:

  • Ev.- luth. Marktkirchengemeinde Clausthal
  • Stiftung Marktkirche zum Heiligen Geist Clausthal