Schloss Hessen
Landkreis Harz
Landkreis Harz
Eine Inschrift in der Ecke zwischen dem ehemaligen Nord- und dem ebenfalls abgerissenen Westflügel lässt eine genaue Datierung der Errichtung des Westflügels zu. Die Inschrift lautet: “Von Gottes Ghnaden Guliuß Hertzog tzu Braunswig und Lunborgk hat mich laßen bauen Anno 1565.” Mit dem Bau dieses Flügels wurde die Oberburg zu einer Vierflügelanlage. Der Flügel wurde westlich an die bestehende Anlage angefügt.
Im Westflügel waren die herzoglichen Gemächer untergebracht. In einem Raum an der Nordwestecke des Westflügels befand sich laut Inventar von 1628 das erste der Schaumburger Gemächer. Dieses wurde um 1600, im Hinblick auf die Herrschaft von Herzog Heinrich Julius als Bischof von Halberstadt, auch “Bischofsstube” genannt. Sie war mit Wandmalereien und Messingleuchtern ausgestattet.
Im Kellergewölbe war eine Brauerei eingerichtet. Im Renaissancebau des Westflügels waren im Erdgeschoss südlich der Tordurchfahrt auch der Küchensaal sowie im Norden der Torfahrt der Kanzleischreiber untergebracht.
Im ersten Obergeschoss des Westflügels befand sich die Ritterstube, die durch die darunter aufsteigende Wärme aus der Küche stets etwas wärmer als andere Räume war. Er war mit Gemälden und einer Hirschhornkrone ausgestattet. Sowohl Herzog Julius als auch seine Gemahlin Hedwig hatten im zweiten Obergeschoss des Westflügels, über dem Rittersaal, ihre Privatgemächer.
Eine genaue Rekonstruktion der Geschosseinteilung des Westflügels ist nicht möglich, da die einzelnen Ebenen teilweise versetzt gegeneinander angeordnet waren. Im Hocherdgeschoss befanden sich die “Vorraths-Kammer” und die “Gesinde-Stube”. Daran schloss sich, mit einem Niveauunterschied, die Ackervogtskammer an. Das zweite Obergeschoss war durchgängig auf einem Niveau und erstreckte sich über die gesamte Fläche des Westflügels. Dort befand sich der Kornboden mit einer Verbindung zum Treppenturm in der Südwestecke. Der Dachboden bildete einen einzigen großen Raum und diente als Speicher. Ein Hinweis auf den Vorgängerbau des in den 1560er Jahren neu errichteten Westflügels geben die Schulenburgischen Bauakten. Es wird beschrieben, dass der Küchentrakt, in dessen Nähe auch ein Brauhaus stand, der Schlosskapelle gegenüber (“kegen über”) auf der Westflanke der Oberburg lag.
Trotz der verschachtelten Geschosse zeigte die Westansicht des Westflügels ein regelmäßiges, der Renaissancearchitektur entsprechendes Erscheinungsbild.
Der ursprünglich dreigeschossige Westflügel (Merian-Stich, 1654) besaß vor dem Abbruch nur noch zwei Geschosse. Wie am Südflügel wurden auch hier im 18. oder 19. Jahrhundert das oberste Stockwerk und die charakteristischen Zwerchhäuser abgetragen. Vermutlich entsprach die Anordnung der Giebel den Fensterachsen des Flügels.
Die Tordurchfahrt vom Hof der Unterburg in den Hof der Oberburg befand sich ungefähr im Drittelpunkt der Außenseite des Westflügels. Auf der Westseite schloss sie fast bündig mit der hofseitigen Außenmauer des Nordflügels ab. Auf beiden Seiten wurde die Durchfahrt von aufwendigen Portalen gefasst. Es handelte sich dabei um rundbogige Renaissanceportale, mit Quaderrahmung in der Fassade und vorgelegter Säulenordnung, die ein ausladendes Gebälk trug. Beide Portale erhielten einen Aufsatz. Vermutlich wurden sie erst etwa 30 Jahre nach dem Bau des Westflügels eingesetzt. Unregelmäßigkeiten im umgebenden Mauerwerk deuten darauf hin, jedoch lassen sich vor allem die Wappen zeitlich einordnen. Die Entstehung des Portals auf der Außenseite kann zwischen 1582 und 1589 angenommen werden, die des Portals auf der Hofseite 1594. Darüber existieren jedoch unterschiedliche Auffassungen. Der Historiker Meier ging davon aus, dass das äußere Portal erst weniger auskragendes Gebälk zeigte, das von zahlreichen Konsolen getragen wurde. Erst später erhielt es sein überliefertes Aussehen. Demnach wurde das ursprüngliche Portal schon bei der Errichtung des Westflügels (1565) eingebaut worden, der Aufsatz und die Säulen, genau wie das östliche Portal, jedoch erst etwa 30 Jahre später. Die identischen Schlussteine beider Portale lassen allerdings anderes vermuten.
Die Aufsätze stammten wahrscheinlich von Jakob Meyerheine, ebenso wie die am Hauptportal des Zeughauses in Wolfenbüttel (1619) und am Juleum in Helmstedt (als einziger archiviarisch gesichert, 1592 bis 1597).
Im Gegensatz zum Hausmannsturm der Unterburg handelt es sich bei dem Bergfried der Oberburg um einen in der Renaissance auch zu Wohnzwecken umgebauten Turm. Ein echter Wohnturm war er jedoch nicht, wodurch er seinen typischen Charakter als Bergfried nie verloren hat.
Der ursprüngliche Turm hatte lediglich im 3. Obergeschoss des Südflügels einen Eingang mit einer gotischen Spitzbogenrahmung. Die Baufugen, die auf allen vier Seiten des Turms deutlich bis zum Erdreich durchgehen, dienen als Setzungsfugen. Dadurch sollte bei einer Setzung des Turmes auf Grund seines Gewichts verhindert werden, dass die angrenzenden Bauten Schäden erleiden. Die Renaissancefenster im oberen Bereich wurden vermutlich zusammen mit dem Westflügel und dem außen liegenden Treppenturm in den 1560er Jahren eingefügt. Vor der Renaissancebaumaßnahme bestand hier, wie im Hausmannsturm, eine innen liegende Erschließung. Während der Umbauten im 16. Jahrhundert wurde in der Südwestecke des Hofes direkt an den Turm ein außen liegendes Treppenhaus angebaut. Durch diese Treppe konnten die in der Renaissancezeit eingebauten Stockwerke des Turmes sowie die Loggien und der Westflügel im 2. Obergeschoss erreicht werden. Insgesamt bestand auf drei Ebenen eine Verbindung zwischen dem Treppenhaus und dem 1562 (neu-)errichteten Westflügel.
In seiner äußeren Erscheinung zeigt der Turm der Oberburg eine starke Ähnlichkeit zum Bergfried der Unterburg. Seine Grundfläche ist jedoch mit etwa 7 x 7 m geringer als die des Hausmannsturms mit 9 x 9 m, während beide Türme ähnliche Höhen aufweisen. Auffallende Unterschiede sind neben den Fenstern und der Dachform die am Turm verwendeten, größeren Werksteinkanten.
Der Entstehungszeitraum des Turmes ist nicht eindeutig festzulegen. Erstmals erwähnt wurde er 1355, wie auch der Bergfried der Unterburg. Da er scheinbar nicht aufgestockt wurde, ist eine Entstehung in einer frühen Bauperiode (12./13. Jahrhundert) unwahrscheinlich. Seine Höhe von ca. 30 m liegt deutlich über der Höhe der Bergfriede des 12. Jahrhunderts (15-20 m). Für einen Turm des 13. Jahrhunderts ist er um 2 bis 4 m zu schmal, erst ab etwa 1350 wurden wieder Bergfriede mit Breiten zwischen 6 und 7 m gebaut, welche Höhen von weit über 30 m aufweisen können. Der Turm entstand vermutlich nach dem Turm der Unterburg, worauf auch die genauer bearbeiteten Werksteinkanten hindeuten.
Nach den Verwüstungen 1628 und 1641 im Zuge des Dreißigjährigen Krieges, sorgte sich Herzogin Anna Sophia (s. Seite 31) gemeinsam mit Herzog August d.J. (s. Seite 43) bis 1654/55 um Reperaturarbeiten am Schloss in Hessen. Davon zeugt die, im Zuge von Sanierungsarbeiten 1903 restaurierte, Wetterfahne auf der Spitze des Bergfrieds. Auf ihr ist heute noch die Inschrift „H.Z.B.V.L.W. – A.S. 1655“ (Herzogin Zu Braunschweig Und Lüneburg Wolfenbüttel – Anna Sophia 1655) zu erkennen.
In einem kleinen greuzgratgewölbten Zimmer im Turm der Oberburg haben sich Malereien aus der Renaissance erhalten. Bei den Malereien handelt es sich um Groteskendekorationen mit Beschlag und Rollwerkelementen auf weißem Grund.
Den Mittelpunkt der Malereien im Gewölbescheitel bildet eine von Rollwerk gerahmte, vergitterte Himmelsöffnung. Dieser so genannter Okulus wurde ursprünglich von vier Putti bevölkert. Von ihm leiten Beschlagwerksbänder ab, die den Kreuzgraten folgend, die Unterteilung der Schildwände vom Gewölbe verdeutlichen. Dieses scheinbar starre tektonische Grundgerüst, aus Beschlagwerksbändern und Rollwerkvoluten, wird durch gemalte, gespannte Tücher und Perlschnüren ergänzt. Letztere erfahren eine Auflockerung durch die flächenfüllend eingesetzte Groteskenornamentik der Früchtebüschel und Blattgerten. Im Mittelpunkt eines jeden Gewölbebpgens befindet sich ein Wappenmedaillon, welches von Lorbeerkränzen, Rollwerk und Blattzweigen gerahmt wird. Bei einem der vier dargestellten Einzelwappen handelt es sich um das herzoglich-braunschweigische Wappen (in der südlichen Gewölbekappe). Es ist ein schreitender Welfenlöwe, ganz in Schwarz auf einem goldenen Turnierschild, der mit weiß-schwarzen Farben der Brandenburger Markgräfin Hedwig (s. Seite 36), umrandet ist. Das Schild hebt sich mit dieser Umrandung deutlich von einer fast schwarzen Kreisfläche ab, welche ein grüner Lorbeerkranz einfasst. Die anderen drei sind Bestandteile des großen Brandenburgischen Wappens (Westen: Askanier; Norden: Hohenzollern; Osten: Pommern) und verkörpern einzelne Grafschaften. Die den Wappen seitlich dargestellten Motive weisen, dem Kompositionsprinzip der Groteske folgend, eine symmetrische Anordnung auf.
Einen besonderen Blickfang bilden die, das Wappen des Herzogs Julius mit dem braunschweigischen Welfenlöwen flankierenden Totenschädel, Laternen und Cherubimköpfchen (Engelsköpfchen) in der südlichen Gewölbekappe. Als weitere auffällige Details sind u.a. gedoppelte Schlangen, Flusskrebse, einhenklige Vasen, gefasste Edelsteine, ein Granatapfel, an Schnüren hängende Schelten, flatternde Bänder sowie ein Phönix aus der Asche zu nennen.
Von den Malereien der drei Schildbogenwände im Westen, Norden und Osten haben sich nur noch Reste erhalten. 1906 konnten noch die Namen der christlichen Tugenden ,,Glaube, Liebe, Hoffnung“ entziffert werden. Die einzige Schildbogenwand, deren Malereien sich nahezu vollständig erhalten haben, ist die im Süden über der Fensterlaibung. Die Malereien lassen eine Nereide (Meerjungfrau) links und den Triton (Meeresgott) rechts erkennen, deren Flossen in einem Arabeskenbouquet in einer Bleivase enden. Des Weiteren finden sich hier zwei Schlangen, die sich um Pflanzenstängel winden, sowie in den unteren Gewölbeecken zwei Eichhörnchen in ihren Nestern.
Die anschließende Fensterlaibung ist von Beschlagwerk und Baldachin-Ornamentik überzogen. Im Zentrum der Deckenfläche befindet sich eine Justitia mit mit Richtschwert und Waage, als Erinnerung an die seit Jahrhunderten ausgeübte niedere Gerichtsbarkeit der Welfenherzöge. Die Malweise wirkt hier wesentlich konturenschärfer, das Blattwerk spärlicher und zugespitzter als im Kreuzgratgewölbe. Es stehen sich hauptsächlich kalte und warme Farbtönen gegenüber.
Beim genauen Vergleich der Malereien im Zentrum des Turmzimmers und der Fensterlaibung werden unterschiede in der Malweise und in den Farben sichtbar. Dies deutet darauf hin, dass mindestens zwei Maler in Hessen aktiv waren. Vermutlich war einer der Meister der niederländisch-flämische Maler Hans-Vredemann de Vries (1527-1606). Seit 1587 arbeitete er für Herzog Julius in Wolfenbüttel und in Hessen.
Die genaue Entstehungszeit und der Grund für die Ausführung der Groteskenmalereien sind umstritten. Vermutlich entstanden sie nach Herzog Julius‘ Tod 1589 und wurden von seiner Frau Hedwig in Auftrag gegeben.
Der Kernbau des Südflügels stammt aus dem 14. Jahrhundert. Durch die Umbauten des 16. und 18. Jahrhunderts ist der erhaltene Bestand kernbauzeitlicher Bausubstanz nur schwer zu ermessen. Es ist davon auszugehen, dass die Außenwand des Flügels noch einen Teil der Ringmauer beinhaltet. Auf seinen mittelalterlichen Ursprung weist auch ein gotischer Bogen im 2. Obergeschoss als Durchgang zum Turm hin.
Der Südflügel wird durch eine deutlich erkennbare Baufuge vom Turm getrennt (siehe Abb. Seite 30). Ähnlich wie bei der Baufuge zwischen dem Turm der Unterburg und dem Torhaus, handelt es sich auch hier um eine reine Setzungsfuge um den gewaltigen Baumassen des Turmes gerecht zu werden. Der Turm und der Südflügel sind im Kern zur gleichen Zeit entstanden.
Im 16. Jahrhundert waren im Südflügel, wie auch im Nordflügel, die Zimmer mit „schöner Aussicht“ – die Gästezimmer für Durchreisende von adligem Stand – untergebracht. Die Gäste konnten von hier aus den Blick auf die Küchenteiche und das Harzpanorama genießen. Unter Herzogin Elisabeth entstand im Südflügel ein Bereich mit beheizbaren Bädern.
Nach der Errichtung des Westflügels 1565 diente das Untergeschoss des Südflügels als Bierkeller. Dieser war durch eine durch den Turm führende Bierleitung mit der Brauerei im Westflügel verbunden.
Hofseitig befindet sich in der nordöstlichen Ecke des Südflügels ein runder Treppenturm. Obwohl dieser direkt an den Ostflügel angrenzt, war er den Räumen des Südflügels zugeordnet. Im ersten Geschoss gab es jedoch einen später vermauerten Zugang vom Ostflügel zur Treppe. Im Gegensatz zum Treppenturm und der Treppe selbst, die aus der Renaissancezeit stammen, sind die Fensteröffnungen und das Portal hier im 18. Jahrhundert neu angelegt worden. Im Bauregister von 1534-38 ist nachzulesen, dass dieser Treppenturm mit Schiefer gedeckt und das Portal eingesetzt wurde.
Auf dem Merian-Stich von 1654 sind über der Südfassade des Südflügels vier große, zweigeschossige Ziergiebel mit Volutengiebeln zu erkennen.
Arkaden (Loggia)
Vor dem Turm der Oberburg befinden sich auf der Hofseite zwei übereinander angeordnete Bogenstellungen einer Loggia. Sie zeigen jeweils einen Korbbogen aus Bossenquadern über Pilastern und stellen die Verbindung vom Treppenturm in der südwestlichen Ecke des Hofes und dem Südflügel her. Im 2. Obergeschoss befand sich über den Bogenöffnungen eine gerade, mit einer Holzkonstruktion überdeckte weitere Loggia. Diese Arkaden wurden errichtet, um einen Übergang vom Südflügel zum neu entstandenen Westflügel durch den Treppenturm zu ermöglichen und um die nach dem Bau des Treppenturmes entstandene Baufuge zu schließen. Treppenturm und Loggia sind als bauliche Einheit zu begreifen.
Im 16. Jahrhundert wurde die Loggia von den Herzögen auch dafür genutzt, um Theateraufführungen im Innenhof beizuwohnen.
Auch der Ostflügel der Oberburg ist in seinem Kern mittelalterlich. Wie im Südflügel sind seine ursprüngliche Gestalt und Nutzung durch mehrfache Umbauten und -nutzungen nicht mehr nachzuvollziehen. Sichere Quellen existieren für diesen Bau erst ab dem 16. Jahrhundert. Der Ostflügel barg im Hocherdgeschoß im 16. Jahrhundert die Schlosskapelle, über der sich im ersten Obergeschoss das „Grüne Gemach“ befand. Dieses Gemach ist in der Raumkubatur und Resten der Farbfassung noch erhalten. Allein von der Bezeichnung her ist zu vermuten, dass sich im Ostflügel die Räume der Herzogin befanden. Dies ist für das im ersten Obergeschoss gelegene Gemach mit Vorraum sowie der „Jungfern Stube” mit Kammer und für die Zimmer im zweiten Obergeschoss auch überliefert (Küche, Kleiderkammer, Schlafkammer und Bad). Interessant ist hier die Herausbildung einer Raumfolge, die an französische Appartements erinnert. Die Hoffassade des Ostflügels zeigt Portal- und Fensteröffnungen aus dem 16. und 18. Jahrhundert.
Im Hocherdgeschoss des Ostflügels befand sich die 1344 erstmals erwähnte Schlosskapelle. Bei der Hessener Burgkapelle handelte es sich um eine lediglich eingeschossige Saalkirche. Sie erstreckte sich nicht über die gesamte Länge des Flügels, sondern nahm nur einen Teilabschnitt ein, welcher vermutlich von dem ursprünglichen Kapellen-Portal bis zur südlichen Außenwand reichte. Ein deutlicher Hinweis auf die ehemalige Kapelle sind, in der Hoffassade des Ostflügels, die heute vermauerten, großen Rundbogenfenster.
1654 ließ Herzog August der Jüngere (siehe Seite 43) das reich gestaltete Hofportal für den Kapelleneingang errichten. Als ursprüngliches Kapellenportal fungierte vermutlich die vermauerte Rundbogentür neben dem Portal mit einer Datierung von 1654. Möglicherweise bestand die Absicht, das Schloss auch weiterhin als fürstlichen Wohnsitz zu belassen. In der Folgezeit begann jedoch das fehlende Interesse der Braunschweiger an ihrem Schloss in Hessen und der Verfall.
Im 19. Jahrhundert wurde mit der Verfüllung der Schlossgräben auch der Bereich der Schlosskapelle vollständig umgebaut.
Das „Alde Hauß“, welches an der Stelle des späteren Nordflügels bestand, geht in seinem Ursprung ebenfalls auf das 14. Jahrhundert zurück. Darauf weist ein noch erhaltener Eingang mit gotischem Bogengewände in der hofseitigen Ecke zwischen Nord- und Ostflügel hin. Ob dies der einstige Standort des Gewändes ist, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr geklärt werden.
Im Zuge der Instandsetzungsarbeiten der Jahre 1534-38 wurde der mittelalterliche Bau abgerissen und ein neuer Nordflügel mit Fachwerkaufbau im Stile der Renaissance errichtet. Der Nordflügel wird im Bauregister von 1534-1538 als “Nawe hause darin der Windelstein und Hoffestuben” beschrieben. Er wurde in den Jahren 1971/72 abgetragen und ist heute nur noch in Fragmenten erkennbar.
Der Flügel beinhaltete über einem gewölbten Wein- und Bierkeller im Souterrain ein Hocherdgeschoss mit Wohngemächern und der Kanzlei. Darüber befanden sich die Hofstube sowie vermutlich auch Gästezimmer. Weiterhin ist innerhalb des Nordflügels ein „Roter Saal“ bezeugt.
Am Ostende des Nordflügels befand sich im Übergang zum Ostflügel die sogenannte Silberkammer, wobei die Lage dieses Raumes im Kellergeschoss oder im Hocherdgeschoss nicht klar zu benennen ist. Die Nähe zur Schlosskapelle erklärt sich dadurch, dass hier die liturgischen Gerätschaften für den Gebrauch in der Schlosskapelle gelagert wurden.
Der Zeitpunkt der Entstehung des Altans an der Südostecke der Oberburg ist in die Jahre nach 1582 einzuordnen, da er im Inventar dieses Jahres noch nicht erwähnt wurde – mit Sicherheit jedoch noch in die Regierungszeit von Herzog Julius der 1589 verstarb.
Der Altan springt um jeweils eine (Doppel-)Fensterachse deutlich als eigenständiges Bauteil vor und verdeckt die Süd- und Westfassade auf einer Breite von jeweils etwa 4 m. Mit Entstehung des Altans mussten einige Durchgänge in den Ostflügel neu angelegt werden.
Ursprünglich bestand der Anbau aus einem tonnengewölbten Keller, zwei massiv gemauerten Obergeschossen und einem hölzernen, seitlich offenen Aufbau. Dieser, wie eine Pergola angelegte Aufbau bedeckte nur den vorderen Teil des Altans und endete an der Fassade des Ostflügels. Ein flaches Zeltdach schützte den Besucher vor der Witterung. Von diesem Geschoss aus bot sich nach Süden, Osten und auch nach Norden, in Richtung Garten, ein freier Blick in die Landschaft. Nördlich anschließend an den Aufbau erhob sich der Turmaufsatz der Treppe mit einem Zwiebeldach, durch den man die Aussichtsebene betrat.
Der Altan wurde offensichtlich zu Wohnzwecken (vermutlich für Gäste) errichtet, da er im ersten und zweiten Geschoss heizbar war und einen Abort (mit in der Außenwand eingelassenem Schacht) im zweiten Geschoss enthielt. Der direkte Ausgang zum Garten, mit einer zum Wall führenden Brücke, wurde erst nach der Bestallung von Johann Royer (siehe Seite 51) eingerichtet. Als Hofgärtner diente ihm der Altan als Wohnung. In den 1950er Jahren wurden die Räumlichkeiten für Unterrichtszwecke einer Berufsschule genutzt.
Das Aussichtsgeschoss über dem Altan erwies sich als nicht witterungsbeständig und wurde im 18. Jahrhundert abgebaut. Stattdessen erhielt der Bau unter Korb, dessen Ansicht nach die Holzkonstruktion für hiesige Klimaverhältnisse ungeeignet war, ein neues Walmdach. Heute ist der Altan zwar erhalten, der hölzerne Aufbau sowie der Aufsatz der Treppe fehlen jedoch und einige Fenster sind vermauert.
Bergfried
Brauerei
Torhaus
Herrenhaus
Steinscheune
Das Torhaus verbindet den Hausmannsturm mit dem nördlich angrenzenden Westflügel der Unterburg (Herrenhaus). Auf der Westseite schließt es bündig mit beiden Gebäuden ab. Im Kern stammt das Torhaus aus dem 14. Jahrhundert. Darauf weist die gotische Bogenstellung des Hauptportals auf der westlichen Außenwand des Torhauses hin. Am Torbogen sowie am Durchgang sind auf der Westseite Falzen zu erkennen. Diese Vertiefungen sind Zeugen der noch 1726 erwähnten Zugbrücke, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts durch eine Steinbrücke ersetzt werden sollte. Aus dieser Zeit stammt auch der Fachwerkaufbau.
Das Torhaus wird vom angrenzenden Turm durch eine Baufuge als Baukörper getrennt. Jedoch ist dies lediglich ein Hinweis auf die enormen Masseunterschiede beider Gebäude. Die Fensteröffnungen in der Westfassade sind in der Renaissancezeit angelegt worden.
Der Eingang zur Burg ist nicht besonders betont. Es wurden z.B. keine Tortürme errichtet, vermutlich wegen des direkt angrenzenden Bergfrieds.
Der östlich an den Hausmannsturm anschließende Südflügel der Unterburg hat eine sehr wechselhafte Geschichte. Der ursprüngliche, mittelalterliche Bau hatte ähnliche Abmessungen wie das Herrenhaus und die Steinscheune. Das damalige Brauhaus bildete den südlichen Abschluss der Unterburg, wodurch die gesamte Burganlage nach außen geschützt war.
Zwischen 1745 und 1748 wurde das Gebäude von Martin Peltier im Zuge von Renovierungen abgerissen und an gleicher Stelle ein Gebäude für Pferdeställe, Wagen und die Pförtnerwohnung errichtet. Da dieses erheblich kleiner war als der alte Südflügel, lag die Südseite des Hofes nun zu einem großen Teil frei. Dieser Barockbau wurde wiederum im 19. Jahrhundert durch das heute noch bestehende Wohnhaus ersetzt.
* 10. November 1489 (Wolfenbüttel)
† 11. Juni 1568 (Wolfenbüttel)
Titel und Ämter:
Herzog zu Braunschweig-Lüneburg
Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel
Regierungszeit: 1514 – 1568
letzter katholischer Fürst in Niedersachsen
Herzog Heinrich II. leitete zwischen 1534 und 1538 umfangreiche Baumaßnahmen auf Schloss Hessen ein. Als Bestimmung zur fürstlichen Nebenresidenz legte er den Grundstein für den kulturellen Aufstieg des Schlosses. Unter seiner Leitung entstand der erste Lustgarten nördlich des Schlosses. Sein Sohn, Herzog Julius (siehe Seite 29), führte diese bauliche Aktivität nach 1560 fort.
Nördlich an das Torhaus schließt in gleicher Flucht das Herrenhaus an, der Westflügel der Unterburg. Es ist davon auszugehen, dass vor dem heute noch erhaltenen Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert ein mittelalterlicher Bau existiert haben muss. Unwahrscheinlich ist, dass die Burg im 14. Jahrhundert in Richtung Westen nicht durch ein Gebäude abgeschlossen wurde. Von seinen Dimensionen, Materialien und Nutzungen ähnelte der Vorgängerbau wahrscheinlich der angrenzenden Steinscheune. Im Sockelbereich des heutigen Kindergartens sind Hinweise auf einen mittelalterlichen Kernbau festzustellen. Allerdings ist nicht mehr nachzuvollziehen, in welchem Umfang der Renaissancebau noch Kernbausubstanz des 14. Jahrhunderts enthält.
Die Erbauung des heute zweigeschossigen Renaissancebaus fällt vermutlich in die Regierungszeit Heinrich d.J. um 1536. Als Pagenhaus geplant, diente das Gebäude jedoch vom Ende des 16. bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts als Marstall. Unter dem Landbaumeister Martin Peltier (gest. 1769) wurde das Herrenhaus in den Jahren 1745-48 wieder zu reinen Wohnzwecken umgebaut.
Der Merianstich von 1642 zeigt im zentralen Eingangsbereich deutlich einen achtseitigen, mit einer geschweiften Haube abschließenden Treppenturm. Zwischen 1735 und 1780 wurde der Wendelstein durch eine innen liegende Treppe ersetzt. Ob die Position des ehemaligen Treppenturms mit der Lage des heutigen Eingangsbereiches übereinstimmt, ist nicht eindeutig. Auf dem Merianstich sind zwischen Treppenturm und Steinscheune deutlich mindestens sechs Fensteröffnungen zu erkennen – heute sind es nur fünf.
Die Initiale “C“ in der Fensteröffnung über dem Eingang des Herrenhauses weist auf Herzog Carl I. (reg. 1735-80) hin. Unter dem Pächter Carl von Schwartz wurde dieses Fenster 1910 mit einem Jugendstil-Ziergitter versehen.
Seit den 1950er Jahren befinden sich im Westflügel der Unterburg der Kindergarten und die Kinderkrippe der Gemeinde Hessen. Zwischenzeitlich wurden die nördlichen Räume des Obergeschosses als Turnhalle für die Schule genutzt. In den südlichen Räumen des Obergeschosses befinden sich heute noch hinter einer abgehängten Decke Stuckverzierungen aus dem 16. Jahrhundert.
* 29. Juni 1528 (Wolfenbüttel)
† 3. Mai 1589 (Wolfenbüttel)
Titel und Ämter:
Herzog zu Braunschweig und Lüneburg
Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel
Regierungszeit: 1568 – 1589
Einführung der Reformation im Fürstentum
Herzog Julius und seine Frau Hedwig (s. Seite 36) bekamen 1560 das Amt Hessen zugewiesen. In den Jahren 1562-68 folgte die II. Umbauphase des Schlosses in der Renaissance. Julius bereitete sich auf Schloss Hessen auf die Übernahme der Regierungsgeschäfte vor. Mit seinen Bücherkäufen legte er den Grundstein für die spätere Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel.
An der Steinscheune lassen sich Spuren aller Bauphasen des gesamten Schlossensembles finden. Der Nordflügel der Unterburg ist in seinem Kern aus dem frühen 14. Jahrhundert erhalten. Er gibt neben den beiden Türmen den besten Eindruck in die mittelalterliche Kernbausubstanz der Schlossanlage. Seine West-, Nord- und Ostwand stehen direkt auf der Ringmauer des Schlosses und weisen die gleiche Stärke von ca. 1,80 m auf. Die hofseitige Südwand hat nur eine Stärke von ca. 1,10 m. Mit einer Höhe von 10,50 m enden die Außenmauern auf der ursprünglichen Traufhöhe. Die nördliche Giebelfront weist noch ihren ursprünglichen Ortgang auf. Daraus ergibt sich eine Gesamtgebäudehöhe von 16 m. Des Weiteren sind besonders am nördlichen Giebel noch die Löcher für die Befestigung der Gerüste zu erkennen, die zum Bau der Steinscheune im 14. Jahrhundert dienten.
An der Nordwest-Ecke des Gebäudes erhob sich, wie auf dem Merian-Stich zu erkennen ist, ein Turm mit einer Laterne. Im Lageplan der Anlage von 1812 ist dieser Turm nicht verzeichnet.
Zwischen der Steinscheune und dem angrenzenden Westflügel der Oberburg gab es zwei Verbindungen. Im ersten Obergeschoss ist heute noch eine mit Eierstab verzierte Portalöffnung zu erkennen, welche über einen Steg zur Bischofsstube an der Nordwestecke der Oberburg führte. Diese Holzbrücke wurde bereits in den Inventaren von 1538 erwähnt. Ein zweiter Übergang befand sich etwas tiefer und gewährte Zutritt zur Treppenspindel, er führte über Wasser. Im Inventar von 1628 wird der dort als “Brücke” bezeichnete Gang als “zerbrochen” beschrieben.
Bei der Betrachtung der Südfassade lassen sich die einzelnen Bauabschnitte deutlich ablesen. Im Bereich des Obergeschosses befinden sich kleine Schlitzöffnungen, die noch aus dem Kernbau des 14. Jahrhunderts stammen. Anzunehmen ist, dass dieses Geschoss zu Lagerzwecken landwirtschaftlicher Produkte genutzt wurde, was größere Öffnungen unnötig machte. Im nördlichen Bereich der Fassade und an der gesamten Nordwand der Scheune sind die Umbauten der Renaissancezeit zu erkennen. Im mittleren bis unteren Abschnitt der Südmauer weisen die Fenster- und Toröffnungen auf die Zeit des Barock hin. Ein deutliches Indiz dafür sind die Nischen mit korbbogiger Backsteinüberdeckung. Am nördlichen Wandende befindet sich der Eingang zum Kellerraum aus dem 19. Jahrhundert.
An der Innenseite der Südwand sind deutlich auf halber Höhe Konsolen für ein mittelalterliches Deckengefüge zu erkennen. Demnach war die Steinscheune zur Zeit ihrer Erbauung in zwei Geschosse unterteilt. Knapp oberhalb und gut 2 m unterhalb dieser Konsolen sind Balkenlöcher zu erkennen, die vermutlich aus dem 18. Jahrhundert stammen und darauf hinweisen, dass die Steinscheune demnach in der Barockzeit in drei Stockwerke unterteilt wurde.
An der Nordwand ziehen sich in einer Höhe von ca. 2 m über die Hälfte der Länge der Steinscheune eine Reihe rotfarbener Bruchsteine hin. Einige Eckquader der Nordostecke bestehen ebenfalls aus diesem roten Steinmaterial. Ob es sich hierbei um Material des frühromanischen Vorgängerbaus handelt, ist ohne eine archäologische Untersuchung nicht zu klären.
Zur Zeit ihrer Erbauung war die Scheune ein reines Wirtschaftsgebäude. Durch das Inventar des Schlosses von 1582 ist erstmals eine genaue Beschreibung der damaligen Nutzung möglich. Im ersten Obergeschoss wird ein Gemach als Pendant des Schaumburgischen Gemaches im Westflügel der Oberburg erwähnt. Auf den Namensursprung wird nicht genauer eingegangen. In diesem sollen sich zwei Modelle der geplanten Erweiterung der Oberburg befunden haben. Es handelt sich hierbei um die Errichtung des Westflügels und die Erweiterung des Nordflügels. Die beiden architektonischen Modelle befanden sich vermutlich in diesem Gemach, weil man von hier aus einen direkten Blick auf die betreffenden Burgseiten hatte und die Bauarbeiten beobachten konnte. Sie waren laut Inventar auf das Jahr 1562 datiert, also ein Jahr vor der Fertigstellung des Westflügels. 1628 wurden die Modelle schon als beschädigt beschrieben, heute ist von ihnen nichts mehr nachzuweisen. Neben dem „Schaumburgischen Gemach“ waren im ersten Obergeschoss die Behausungen der bediensteten Mägde und Knechte untergebracht.
Im 1. Obergeschoss befand sich das Jagdzimmer. Nach Aussage des Wolfenbütteler Kunsthistorikers Dr. Friedrich Thöne handelte es sich hier um einen der frühesten Jagdsäle Norddeutschlands. Er war mit einer Vielzahl von Hirschgeweihen und Jagdtrophäen geschmückt.
Um 1900 wurde im westlichsten Teil der Steinscheune ein Gewölbe mit einer Preußischen Kappe eingezogen. Es liegt nur etwa 0,80 m tiefer als die restlichen Räume des Erdgeschosses, stellt demnach keinen wirklichen Ersatz des nicht vorhandenen Kellers dar. Das Gewölbe wurde von der Pächterfamilie von Schwarz als Lagerraum erbaut. Bis etwa 1990 diente es als Vorratskeller für die Schulküche.
Nach der architektonischen Blüte des Hessener Schlosses im 16. Jahrhundert begann kurz nach 1600 das botanische Aufleben. Der Grundstein für den Renaissance-Lustgarten wurde bereits in den 1530er Jahren unter Herzog Heinrich d.J. gelegt. Während der Bauphase von 1535-38 plante er bereits die Anlegung eines Gartens nördlich der Oberburg. Die Blütezeit des Renaissancegartens begann allerdings erst nach der Bestallung des Hofgärtners Johann Royer im Jahr 1607 durch Herzogin Elisabeth.
Den Hauptteil des Gartens bildeten elf gleich große Quartiere mit unterschiedlicher Gestaltung. Über ein rechtwinkliges Wegesytem wurde die Anlage erschlossen. Laubengänge und ein Wall im Osten grenzten das Areal ab. Die einzelnen Quartiere, wie auch die Wege auf dem Wall, waren mit Hecken umgeben. Dafür wurden verschiedene fruchttragende, wie auch duftende Pflanzen verwendet. Überliefert sind: Rosen, Wacholder, Cornelbeeren (Kornelkirschen), Reinweide (Liguster) und Johannisbeeren. Die dem Schloss zugewandten Seiten waren mit einem ornamentreichen Bindewerk versehen, das sowohl figürliche als auch heraldische Gestaltungelemente enthielt. Die Verbindung zum Schloss wurde über eine Zugbrücke vom Altan zum Wall hergestellt.
Das augenfälligste Quartier war das Brunnenquartier. Ein fünfschaliger Metallbrunnen der auf zwei steinernen Umläufen mit Wasserspielen ruhte, bildete das Zentrum. Er wurde von Herzog Heinrich Julius für seine Frau Elisabeth Anfang des 17. Jahrhunderts von Augsburger und Regensburger Kaufleuten erworben. Den Brunnen zierten mehrere Bronzefiguren aus der Tierwelt und der Mythologie. Gekrönt wurde das Meisterwerk Augsburger Bronzegusses von einem springenden Hirsch auf der Spitze des Brunnens. Einige Figuren (Löwe, Stier, Pferde, Elefanten, Hunde, Affen, Hirsch) sind noch heute erhalten und sind u.a. im Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig und im Rijksmuseum in Amsterdam zu besichtigen.
Die Verbundenheit von Herzogin Elisabeth zu ihrem Elternhaus, dem dänischen Königshaus, spiegelte sich auch in der Gartengestaltung wieder. Das Wappenquartier in zentraler Lage, zeigte das braunschweigische und das dänische Hoheitszeichen nebeneinander. Direkt an dieses Quartier grenzte eine künstliche Grotte mit einem Wasserspiel. Darin wurde die Geschichte von Diana und Aktäon erzählt. Lebensecht bemalte Steinfiguren zeigten Diana mit ihren Nymphen beim Bade. Beobachtet wurden sie dabei von dem Jäger Aktäon.
Im Westen und Norden war der Lustgarten von fünf Teich-Hellern (Hälterungsbecken) umgeben. Darin wurden die aus den Teichen, südlich des Schlosses, gefangenen Fische bis zum Verbrauch gehalten. Der Name des durch den Park fließenden Baches, Hellergraben, erinnert noch heute daran. Über eine Brücke im Westen war der Lustgarten mit dem Küchengarten verbunden. Darin wurde zum Bedarf des Hofes Gemüse und andere Nutzpflanzen angebaut. Im Küchengarten befand sich ein „Pomeranzenhaus“, das im Winter mit einem Dach versehen wurde und beheizbar war – ein Vorläufer einer Orangerie. Hier wurden die ausländischen und empfindlichen Pflanzen, wie Zitronenbäumchen, Feigen, Granatäpfel oder Oliven aufbewahrt.
Weiter nördlich schloss sich der Baumgarten an. Dort wuchsen etwa 500 Obstbäume unterschiedlicher Sorten. Darunter waren ca. 30 Apfel- und 30 Birnensorten.
Heute deutet nichts mehr auf den einst prachtvollen Lustgarten hin. Das Areal wird vollständig von einer Wiese überdeckt. Im Osten durchschneidet eine, schon seit Jahrzehnten ungenutzte, Bahnstrecke voller Wildbewuchs das Gelände. Der Burggraben und die Heller-Teiche sind nur noch zu erahnen. Rudimentär lassen sich noch Anzeichen der Wasserläufe und deren Ausmaße erkennen. Auf dem Luftbild von 1939 (s. Seite 8) sind der Lustgarten und die Lage der Quartiere zueinander noch in Fragmenten zu deuten.
Im Jahr 2008 fanden an verschiedenen Stellen des ehemaligen Lustgartens archäologische Suchgrabungen statt. Dabei wurden Reste der ehemaligen Burggrabenmauer, der einstigen Mühlengrabenbrücke und der genaue Standort des großen Zierbrunnens gefunden. An der östlichen Seite des Hellergrabens konnte eine Uferbefestigung aus Eichenbohlen festgestellt werden. Ebenfalls wurden die Verläufe eines Querweges, wie auch des westlichen Laubenganges nachgewiesen.
Der ehemalige Fürstlich Braunschweigische Lustgarten in Hessen stellt einen kulturhistorischen Schatz von europäischem Rang dar. Seine Rekonstruktion würde einer botanischen Sensation gleichkommen. Allerdings liegt dieses Ziel in weiter Ferne und bedarf großer Anstrengungen von allen Seiten. Sollte es jedoch irgendwann erreicht sein, würde auf Hessen wieder ein ganz besonderes Augenmerk liegen.